Kurz nach sieben ist die Nacht vorbei – unsere Kreuzfahrtdirektorin meldet sich und teilt uns mit, dass wir unser Ziel für heute Morgen, die verlassene Stadt Old Thule, erreicht haben und man nun alles für die Anlandung vorbereiten würde.
Genau genommen betrifft das aktuell allerdings nur eine kleine Gruppe – nämlich diejenigen, die sich entschieden haben, eine kleine Bergsteigertour auf den Berg Thule zu unternehmen. Der 222 m hohe Berg ist dabei über einen schmalen Pfad, der im 45°-Winkel nach oben führt, erreichbar – und das ist nicht jedermanns Sache. Zumal das letzte Stück nur über einen Steinpfad erreichbar ist – und das auch nur, wenn man sich an einem am Berg befestigten Seil gut festhält.
Das ist also irgendwie nicht meins und so drehe ich mich noch einmal um, um später mal zu sehen, ob ich die Anlandung mitmache oder nicht.
Old Thule war bis Mitte der 50er-Jahre eine kleine bewohnte Siedlung, deren Einwohner mit dem Aufbau eines US-amerikanischen Stützpunkts gegenüber dem Berg Thule umgesiedelt wurden, so dass die wenigen noch erhaltenen Häuser jetzt mehr oder weniger verlassen in der Bucht stehen.
Gegenüber ist die Militärbasis zu sehen, die geografisch ziemlich genau zwischen Amerika und Russland liegt, so dass hier – gerüchteweise – wohl auch Atomraketen stationiert (gewesen) sein sollen.
Der Himmel ist verhangen, aber es regnet zumindest nicht und auch die Zodiacüberfahrt ist im Gegensatz zu gestern wohl trocken möglich. Von daher gehe ich erst einmal in Ruhe frühstücken (die meisten Passagiere sind bereits an Land) und entscheide dann, ob ich noch mit dem „Zodiac-Shuttle“ übersetze oder nicht.
Final entscheide ich mich jedoch dagegen – zumindest der Blick durchs Fernglas offenbart nichts, was ich jetzt zwingend von Nahem sehen müsste. Und so entscheide ich mich für einen ruhigen Tag auf dem Schiff, auch wenn Plan, diesen im Pool zu beginnen nicht aufgeht, da dieser heute wohl renoviert wird (zumindest steht aktuell jemand im Pool und entfernt einige Roststellen). Mal schauen, ob der auf dieser Reise noch mal Wohlfühltemperatur erreicht …
Ich verbringe den Vormittag daher mit meinem E-Book und warte auf die Berichte der Rückkehrer vom Landgang.
Und die sind durchwachsen. Irgendwie schon interessant, auf der anderen Seite aber auch nicht unbedingt anders als in den unbewohnten Siedlungen vorher. In jedem Fall hätte es mal gut getan, sich die Beine zu vertreten – und zumindest dieses Argument kann ich durchaus nachvollziehen. Das wird auch bei mir mal wieder Zeit – hier an Bord liegt oder sitzt man halt doch die meiste Zeit irgendwo herum.
Viel Bewegung hatten allerdings wohl diejenigen, die sich für die Bergsteigertour auf den Thule entschieden haben. Und so ganz risikolos ist das wohl auch nicht gewesen – oder sagen wir es ruhig direkt: das letzte Stück, bei dem man sich nur an dem befestigten Seil bewegen konnte, hätte beim Abrutschen vom Seil wohl zu einem Sturz in die Tiefe mit schwersten Verletzungen geführt, wenn das Ganze nicht vielleicht sogar tödlich ausgegangen wäre. Trotzdem ist wohl alles gut gegangen – bis auf eine leichte Unpässlichkeit im ersten Teilstück, die ohne gesundheitlichen Folgen blieb, sind alle 17 Teilnehmer gesund und munter zurück zum Schiff gekehrt.
Und hier geht es dann auch gleich mit dem Mittagessen weiter, während wir uns auf unserem weiteren Weg in Richtung Süden zum Cape York aufmachen. Hier wollen wir die Gelegenheit nutzen, und noch den einen oder anderen Eisberg beobachten, während wir bei guter Sicht die Chance haben, das Peary-Denkmal zu sehen, das auf dem Gipfel des Kaps errichtet wurde.
Doch leider bleibt es dieses Mal bei dem Plan. Das Wetter spielt heute leider gar nicht mit – es ist wolkenverhangen, neblig und es regnet. Eisberge kann man meistens nur erahnen und an das Denkmal auf dem Berg ist gar nicht zu denken.
Gegen 14.00 Uhr gibt es dann einen weiteren Höhepunkt unserer Reise: wir haben wieder Internet. Die Information wird zwar nicht offiziell bekannt gegeben, verbreitet sich aber durch Mund-zu-Mund-Propaganda dennoch recht schnell. Ein kleiner Test ergibt aktuell übrigens eine Datenrate von rund 0,02 MBit/s (zum Vergleich: zu Hause bin ich mit 50 Mbit/s rund 2.500x schneller unterwegs) – und bei einem Minutenpreis von 0,19 € beschränke zumindest ich mich dann schon mal auf das Wesentliche. Alles andere muss bis nächste Woche warten …
Parallel setzen wir unsere Fahrt über das inzwischen auch recht unruhige Meer ohne Stopp in Richtung Südgrönland fort, ich nutze die Kaffee- und Kuchenzeit für ein Sandwich (alte Seefahrer-Regel: den Magen bei Seegang immer beschäftigen) und mache dann noch ein kurzes Nickerchen bis zum Abendessen.
Im Restaurant sind die Tische heute Abend auch nicht alle vollbesetzt – der Seegang ist jetzt aber auch deutlich zu spüren und man schwankt beim Gehen in den Schiffsgängen dann doch merklich von rechts nach links. Wir entscheiden uns jedoch dazu, das Geschaukel zu ignorieren und lassen es uns schmecken (Stichwort: den Magen beschäftigen).
Und das scheint zu funktionieren … aber im Laufe des weiteren Abends, als wir aus dem Bereich von Kap York herausfahren, wird das Ganze dann auch wieder etwas ruhiger – und so schauen wir mal, was die weitere Nacht und der morgige Seetag so bringen.
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