Gegen 7 Uhr haben wir unseren Ankerplatz für den Vormittag, die Küste vor Pond Inlet, erreicht. Am Ufer können wir eine kleine Siedlung erkennen, wobei das Ganze hier deutlich trostloser aussieht als wir es aus Grönland mit seinen bunten Holzhäusern gewohnt sind.

Bis wir mit unseren Zodiacs an Land kommen, haben wir aber sowieso noch zwei Stunden Zeit – die kanadischen Behörden benötigen hier dann doch die eine oder andere Minute für die notwendigen Formalitäten und die Einklarierung des Schiffes.

Und so führt uns unser erster Weg auf die Lido-Terrasse zum Frühstück, auch verbunden mit der Hoffnung, hier vielleicht doch noch auf ein Mobilfunknetz zu stoßen, um doch noch mal einen Abstecher ins Internet zu machen. Die gibt es sogar – drei Netze stehen am Handy bei manueller Netzwahl zur Auswahl. Allerdings kann man sich in keines der Netze einbuchen; offensichtlich handelt es sich hierbei um lokale Netze, mit denen es keine Roaming-Abkommen gibt. Also bleibt das Handy stumm …

Anders die Lautsprecheranlage des Schiffes – kurz vor 10 Uhr wird unsere Gruppe aufgerufen, um mit den Zodiacs ans Ufer zu fahren. Da dort kein Bootsanleger existiert (dieser würde jeden Winter durch das Eis zerstört werden), müssen wir über den Strand an Land gehen – unsere erste „nasse Anlandung“ auf dieser Reise. Von daher ist die Wahl der Schuhe schnell erledigt: die Gummistiefel kommen erstmals zum Einsatz. Der Parker bleibt aber noch wo er ist – auf dem Bügel in der Kabine. Für heute sollten wohl Norwegerpulli und Jeans ausreichen.

Kurze Zeit später haben wir die Überfahrt auch schon geschafft – und wenn ich bei der Zodiac-Einweisung richtig zugehört hätte, dann hätte ich mich auch daran erinnert, dass beim Aussteigen aus dem Zodiac auf die Wellen geachtet werden sollte. Einfach weil der Wasserstand mit Welle höher ist als ohne. Und das Wasser dann von oben in die Stiefel reinschwappt. Aber so funktioniert halt der Mensch: wer nicht hören kann, muss fühlen. Beziehungsweise mit etwas Wasser im Stiefel und nasser Socke durch Pond Inlet laufen.
Glücklicherweise ist es nicht so kalt – die Lufttemperatur dürfte um die 10-Grad-Marke liegen, in der Sonne ist es sogar richtig warm. Von daher klingt das jetzt schlimmer als es tatsächlich ist. Zumal wir ja nur eine gute Stunde hier sein werden.

Und in dieser Zeit werden wir von einem örtlichen Guide (eine kleine Inuit-Dame mit ihrer zweijährigen Tochter) die Hauptstraße einmal nach rechts und einmal nach links geführt. Hierbei erfahren wir, dass es hier rund 1.500 Einwohner gibt, die fast alle von der Fischerei und der Jagd leben. Eine Vollversorgung aus dem örtlichen Supermarkt scheitert – auch für diejenigen, die Arbeit (meist in der Administration) haben – in der Regel an den Preisen: eine Dose Spaghetti mit Tomatensauce ist beispielsweise für rund 6 CAD, ein Liter Milch für 8 CAD und 12 Dosen Schweppes für rund 80 CAD zu haben.

Die Häuser sind hierbei im Gegensatz zu den grönländischen Dörfern eher einfach gehalten, bestehen aus Wellblech oder sind in Containerbauweise errichtet worden. Ab und zu liegt ein Schlittenhund vor dem Haus, Autos, die ihre Halbwertszeit deutlich hinter sich haben, stehen am Straßenrand neben Quads oder Holzschlitten.

Und auch nicht alle Einwohner sind Touristen gegenüber freundlich eingestellt (auch wenn ein Schild am Strand mit dem Hinweis „Friendly People“ das Gegenteil proklamiert) – es gibt wohl sogar eine Art Bürgerinitiative gegen Touristen, die in der Regel auch nur vereinzelt mit Expeditionsschiffen hier anlanden.

Andererseits muss man natürlich auch sagen, dass es für Touristen eigentlich auch keinen erkennbaren Grund gibt, hier an Land zu gehen. Wenn das nicht der Ort wäre, an dem man auf dem Seeweg in Kanada einreisen kann. Und wenn man dann eh schon mal da ist, kann man ja auch mal einen Blick auf das Leben hier werfen.

Und den Blick gibt es dann gegen Mittag im Kulturzentrum – einige Bewohner geben hier eine etwa einstündige Vorführung ihrer Tänze und Gesänge und somit einen tiefen Einblick in die alten Kulturen und Bräuche der Inuit.

Dennis und ich haben uns allerdings entschieden, diesen Teil des Landgangs auszulassen und bereits vorher zurück zum Schiff zu fahren. Die Sonne lacht ja nach wie vor vom blauen Himmel und so könnte man sich auch vorstellen, stattdessen den Liegen auf dem „Pooldeck“ einen Besuch abzustatten.

Am Strand haben die örtlichen Behörden (also vermutlich der Polizeichef und ein Mitarbeiter – so genau kann man das nicht erkennen) eine „Restricted Area“ aufgebaut. Und hier erfolgt nun eine ausführliche Personen- und Taschenkontrolle. Macht ja auch Sinn – nicht, dass auf einmal einer eine Dose Spaghetti ausführt … 😉

Wir warten noch einen Moment bis das Zodiac voll ist und machen uns dann auf den Weg zurück zum Schiff. Und erneut lernen wir dazu: auch bei vermeintlich ruhiger See kann immer mal Wasser in das Zodiac spritzen. Und von daher wird ja auch empfohlen, bei Zodiac-Fahrten immer eine Regenhose überzuziehen. Diejenigen, die das für nicht notwendig erachtet haben („Die brauchen wir bei dem Wetter nicht“), sind jetzt diejenigen, die nachher die Jeans in der Dusche zum Trocknen aufhängen werden. Ich zum Beispiel.

Zurück an Bord zieht es uns dann auch gleich in die Sonne – und die hat durchaus Kraft. Auf dem Pooldeck kann man es auch heute wieder problemlos in der Badehose aushalten, so dass ich vor dem Mittagessen noch ein bisschen in der Sonne lese.

Den restlichen Nachmittag könnte man dann durchaus wieder bei dem einen oder anderen Vortrag zur Geschichte der Nord-West-Passage oder den geologischen Besonderheiten der kanadischen Arktis verbringen – oder einfach auch mit einem kleinen Nickerchen in der Sonne, einer frischen Waffel auf der Lido-Terrasse beim Schreiben dieser Zeilen und dem einen oder anderen Foto der an uns vorbeiziehenden schneebedeckten Berge.

Vor dem Abendessen lese ich dann noch ein bisschen im neuen Harry Potter (da steht dann demnächst wohl auch mal ein Wochenendtrip nach London zu einem Theaterbesuch an) bevor wir dann – dieses Mal wieder an unserem eigenen Tisch im Restaurant- die Kochkünste aus der Kombüse testen können.

Da wir uns ja angewöhnt haben, dass wir jeden Abend in einer anderen Kombination an unserem Tisch sitzen (mal darf der eine aus dem Fenster gucken, während der andere in den Saal schauen muss), kommt unweigerlich die Frage auf, ob die 18 Tage dieser Reise ausreichen, um an jedem Abend in einer anderen Kombination zusammen zu sitzen. Und in der Tat beschäftigt diese Frage zumindest mal drei Leute an unserem Tisch … Und was meint Ihr: wie viele unterschiedliche Sitzkombinationen gibt es für uns sechs an einem Tisch mit sechs Stühlen? Die Antwort gibt es dann morgen beim Frühstück …

Zum Abschluss des Abends geht es dann noch mal in die Panorama Lounge: um 21.15 Uhr gibt es hier noch einen Vortrag zum Thema „Naturfotografie“. Allerdings eher auf niedrigem Niveau – für Anfänger in der Materie gibt es viele Hinweise und Tipps, für Fortgeschrittene sind eher die Beispielfotos nett anzusehen.

Zurück in der Kabine schließe ich die Vorhänge dann noch so lichtdicht wie möglich – haben wir inzwischen doch den Bereich erreicht, in dem es im Tagesprogramm bei Sonnenauf- bzw. untergang heißt: „entfällt“. Und in der Tat: wir haben hier jetzt 24 Stunden lang „Tag“ … und inzwischen fallen sogar die wenigen Stunden Dämmerung weg.

Weiterlesen: 9. August 2016: Radstock Bay und Beechey Island, Kanada