Wenn man sich in den letzten zwei Tagen im Netz ein bisschen über die AIDAprima informieren wollte, wurde man unweigerlich mit Schlagzeigen wie „Panik auf der AIDA“ konfrontiert und konnte in vielen Facebook-Einträgen von einer „Horrorfahrt“ lesen.
Doch was war passiert?
AIDAprima befand sich am Freitagabend auf ihrem Weg nach Hamburg, wo sie am Samstag einen Passagierwechsel durchführen sollte. Wind und Wellen schüttelten das Schiff auf der Nordsee bei Windstärke 10 und etwa 7 m hohen Wellen gut durch – insofern also für viele Passagiere eine unangenehme Begleiterscheinung einer Kreuzfahrt, mit der man aber natürlich rechnen muss, wenn man eine Schiffsreise macht. Und viele, die eine Kreuzfahrt machen, werden so etwas sicher auch schon mal erlebt haben – das ist zwar nicht die Regel, kommt aber immer wieder mal vor.
Liest man den Bericht der BILD-Zeitung vom heutigen Tage, klingt das allerdings eher so, als ob das Schiff kurz vorm Untergang gestanden hätte:
Interview mit einem Passagier …
Gleich vorweg: ich war selbst nicht dabei. Aber gute Freunde von mir – und so hatte ich heute die Gelegenheit, mich mal aus erster Hand updaten zu lassen, was sich denn vorgestern an Bord so abgespielt hat:
Jannik war mit seiner Freundin Justine und seinen Eltern auf der einwöchigen Reise mit der AIDAprima unterwegs – bis auf Justine alles absolute Vielfahrer, die praktisch alle AIDA-Schiffe und fast alle Routen kennen. Und von daher durchaus wissen, dass Seegang Bestandteil einer Kreuzfahrt sein kann. Für Justine war das allerdings alles neu – die Reise mit der Prima war ihre erste Kreuzfahrt.
Die Woche auf dem Schiff hat allen super gefallen und auch von der AIDAprima waren alle begeistert. Und bevor es zur Farewell Party in den Beach Club gehen sollte, stand noch ein Abschiedsessen im Buffalo Steak House an.
Als sie gegen 20.30 Uhr im Buffalo angekommen sind, war es dort relativ leer – vermutlich haben aufgrund des Seegangs nicht alle Passagiere ihre Reservierung aufrecht erhalten. Ansonsten aber „Business as usual“. Das Schiff hat sich halt bewegt, das war es dann aber auch schon. Zunächst also alles ganz normal.
Während die bestellten Steaks zubereitet wurden, kam dann wohl ein Kellner mit feuchten Tüchern an den Tisch und hat diese unter die Gläser gelegt – ein probates Mittel, um die Reibung zwischen Tisch und Glas zu erhöhen und damit ein Verrutschen der Gläser bei den Schiffsbewegungen zu verhindern (viele AIDA-Reisende kennen ja ähnliche Maßnahmen – da werden dann in den Buffetrestaurants die Weingläser durch die kleineren Saftgläser ersetzt und die Tellerspender am Buffet werden oben mit Gummibändern gesichert).
Gegen 21.15 Uhr wurden dann die Steaks serviert – man freute sich auf das Essen, wartete aber noch auf die Steaksaucen. Und just in diesem Moment wurde das Schiff zwei Mal massiv getroffen – sei es von einer Welle oder von einer Windboe – und das war dann wohl der Auslöser für alles, was im Netz und in den Medien berichtet wurde.
Jannik berichtet, dass es einen Schlag gegeben hätte, der dazu geführt hat, dass sich das Schiff auf die linke Seite bewegt hätte und kurz darauf einen zweiten von der anderen Seite, der zu einer umgekehrten Bewegung geführt hat. Gleichzeitig ist im Buffalo nichts mehr an der Stelle gewesen, wo es vorher war. Die Tische und Stühle sind quer durchs Restaurant gerutscht, alles, was nicht angeschraubt war, flog durch das Restaurant – Gläser, Flaschen, Teller, das Essen. Der Boden war übersät mit Scherben und dem Inhalt sämtlicher Flaschen im Buffalo, aus der Küche kamen Schreie.
Die vier haben daraufhin das Buffalo verlassen, insbesondere Justine war – wir erinnern uns daran, dass dies ihre erste Kreuzfahrt war – geschockt: „Ich will hier nur noch weg.“ Auf dem Weg nach draußen löst sich dann ein Deckenteil, vermutlich eine Abdeckung von einem Versorgungsschacht, und fällt halb herunter, glücklicherweise einige Meter hinter Jannik …
Doch „weg“ ist hier natürlich schwierig. Jannik ist mit Justine daher zunächst einmal ins Theatrium gegangen; der Weg dorthin führt durch die Vinothek – auch hier sind sämtliche Flaschen und Gläser zu Bruch gegangen und haben sich auf dem Boden verteilt. Die beiden setzen sich auf eine der Bänke im Theatrium und Jannik beruhigt zunächst einmal seine Freundin.
Durch die Lautsprecheranlage sind in kurzer Folge zwei Durchsagen für das Medical Response Team zu hören, die Show im Theaterium wird abgebrochen. Die Schiffsbewegungen sind jetzt allerdings wieder im normalen Rahmen – so wie es bei starkem Seegang halt nun einmal ist auf einem Schiff.
Kurz darauf kam dann die erste Durchsage vom Kapitän, in dem er beruhigend auf die Passagiere einwirkt, darauf hinweist, dass für das Schiff keine Gefahr besteht und darum bittet, die öffentlichen Bereiche aus Sicherheitsgründen zu verlassen sowie damit der Crew die Möglichkeit zu geben, das Durcheinander zu beseitigen. Er bat die Passagiere, auf ihre jeweiligen Kabinen zu gehen und dabei keine Aufzüge zu benutzen. Gleichzeitig informierte er über die vorgenommene Kursänderung in Richtung Helgoland, so dass die Fahrt danach erst einmal etwas ruhiger werden würde.
Auf ihren Kabinen angekommen, haben die vier erst einmal festgestellt, dass auch hier das eine oder andere nicht mehr da lag, wo es vorher war. Gläser, Flaschen, die Parfumflacons im Bad – auch hier befand sich mehr oder weniger alles auf dem Boden. Das Mobiliar war teilweise verrutscht, aber weitere Schäden gab es nicht.
Kurz darauf ist dann auch das Housekeeping vorbei gekommen, hat gefragt, ob sie irgendwie helfen können, ob etwas sauber zu machen ist und hat sich erkundigt, wie es ihnen geht und ob es irgendwelche Probleme gäbe.
Aufgrund der Kursänderung ist die Fahrt dann tatsächlich deutlich ruhiger geworden, die Schiffsbewegungen haben deutlich nachgelassen.
Die Durchsagen des Kapitäns, die auch auf alle Kabinen übertragen wurden, haben natürlich auch zur Beruhigung beigetragen – die vier berichten davon, dass sie sich zu jeder Zeit gut über die Situation informiert gefühlt haben und auch Justine ging es inzwischen wieder deutlich besser.
Um 0.30 Uhr meldete sich der Kapitän dann ein letztes Mal und teilte mit, dass man jetzt wieder den Kurs in Richtung Elbmündung und Hamburg ändern müsse und dass daher in den kommenden zehn Minuten noch einmal mit sehr starken Schiffsbewegungen gerechnet werden müsse, so dass er seine Bitte erneuerte, in den Kabinen zu bleiben.
Jannik berichtet davon, dass die Kursänderung dann in der Tat noch einmal zu einer Zunahme der Rollbewegungen geführt habe (aber das hat ja nun jeder gewusst), dass dies aber eigentlich nicht tragisch gewesen wäre – seegangsmäßig eher so wie nachmittags. Und wenige Minuten später war es dann in der Tat ja auch schon vorbei.
Die Passagiere konnten nun auch ihre Kabinen wieder verlassen und in die öffentlichen Bereiche gehen – wobei um diese Zeit da jetzt natürlich nicht mehr viel los war (von Aufräumarbeiten einmal abgesehen).
Lediglich an der Rezeption muss es noch heftig zur Sache gegangen sein – dort standen wohl viele Passagiere, die sich beschwert haben. Über Cocktailgutscheine, die man nun nicht mehr einlösen könne, über verschüttete Getränke auf der Kleidung, über das Verbot, Aufzüge zu benutzen und die drohende Verspätung bei der Ankunft in Hamburg. Allerdings fällt es mir schwer, dafür Verständnis aufzubringen …
Genauso wie es für mich unverständlich ist, dass Passagiere den Aufräumbemühungen der Crew, die selbst sichtlich geschockt war und einzelnen Aussagen nach so etwas auch nie erlebt hat, eher respektlos mit Lachen, Fotografieren und Filmen begegnen. Hauptsache, man hat was, was man auf Facebook oder Insta zeigen kann …
Und nachdem die vier ihre Suche nach etwas Essbarem auf dem Schiff erfolglos aufgegeben haben (schließlich hatten sie inzwischen Hunger – die Steaks sind ihnen ja vor der Nase vorm Teller geflogen), haben sie die restliche Nacht bis zum Einlaufen in Hamburg (übrigens mit nur einstündiger Verspätung) dann in ihren Betten verbracht.
Also: „Horrorfahrt“ oder einfach nur Seegang bei einer Kreuzfahrt?
Natürlich kann ich hier nur das schildern, was die vier erlebt haben. Die anderen 3.000 Passagiere mögen das ganz anders erlebt haben – sicherlich auch abhängig davon, wo sie sich zur Zeit der beiden „Wind- und/oder Wellen-Treffer“ befunden haben. Aber ich denke, es beschreibt ganz gut, dass man hier nicht von einer „Horrorfahrt“ sprechen kann. Klar, Seegang ist für viele unangenehm – aber der gehört nun ab und an mal dazu bei einer Kreuzfahrt.
Die beiden extremen Bewegungen, die dazu geführt haben, dass auf dem Schiff nichts mehr an seinem Platz blieb, sind aber sicherlich schon etwas sehr Außergewöhnliches. Das kann bei einer Kreuzfahrt passieren, wird es aber in der Regel nicht. Und dass dabei der eine oder andere Angst bekommt (insbesondere wenn es sich um Passagiere handelt, die Seegang noch nie erlebt haben und daher keine Vorstellung haben, was „normal“ und was „ungewöhnlich“ ist), ist ja menschlich gesehen vollkommen nachzuvollziehen und auch zu verstehen.
Kaum jemand, der als Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff fährt, hat doch entsprechende Seefahrererfahrung – und wenn ich nicht weiß, was mit mir passiert und ich den Elementen scheinbar hilflos ausgeliefert bin, habe ich Angst oder bekomme sogar Panik. Das kann ich nur zu gut verstehen – aber eine „Horrorfahrt“ ist dann nun doch noch mal was anderes.
Diejenigen, die öfter Kreuzfahrten machen, den einen oder anderen Seegang miterlebt haben, vielleicht auch mal eine nautische Fragestunde an Bord besucht haben, können das natürlich gelassener sehen. Ich habe immer noch die Antwort eines Kapitäns im Ohr, der auf die Frage, wie weit sich das Schiff seitlich neigen kann, bis es untergeht, sinngemäß geantwortet hat: „Das Problem ist dabei nicht das Schiff – das sind Sie, meine lieben Passagiere. Das Schiff kann sich deutlich weiter neigen als sie sich festhalten könnten …“
„Nie wieder eine Kreuzfahrt“?
Das war dann natürlich die erste Frage, die ich Justine gestellt habe. Und die sie gleich verneint hat. Ihr ist klar, dass es auf einer Kreuzfahrt Seegang geben kann; sie weiß aber auch, dass ein solch heftiges Ereignis (das ja nur wenige Sekunden gedauert hat), extrem selten ist – und dass das einem Kreuzfahrtschiff nichts ausmacht. Und von daher wird sie wieder fahren – genau wie die anderen drei übrigens auch.
Aber – nicht vergessen darf man, dass bei solchen extremen Ereignissen natürlich eine hohe Unfallgefahr herrscht. Ob das nun das Deckenteil ist, dass jemanden hätte treffen können, ob das Glasscherben sind, die zu schweren Verletzungen führen können, der Sturz auf einer Treppe oder simples Ausrutschen auf nassem Boden – und das kann man in einer solchen Situation ja selbst dann nicht wirklich verhindern, wenn man die Regel „eine Hand fürs Schiff“ beherzigt.
Nach Aussagen von AIDA Cruises gegenüber BILD waren bei diesem Ereignis übrigens drei Verletzte zu beklagen, die Prellungen bzw. eine Fraktur davongetragen haben – hier kann man natürlich von Glück sagen, dass nicht mehr passiert ist. Und den dreien eine gute und schnelle Genesung wünschen …
Fazit
Auch wenn solche Ereignisse passieren können, sollte das für niemanden Anlass seine, seine geplante Kreuzfahrt zu stornieren oder eine geplante Buchung nicht vorzunehmen. Ich selbst habe bei weit über 50 Kreuzfahrten zwar schon mehrfach mit Seegang zu tun gehabt – eine solche Situation habe ich aber noch nie erlebt. Klar, das kann passieren – aber auch Flugzeuge fallen vom Himmel, Züge fahren in einander und Autos haben Unfälle. Und trotzdem fliegen und fahren wir immer wieder damit …
Und schauen wir uns die Kommentare, Bilder und Videos auf Facebook an – jeder, der dabei war, will natürlich möglichst spektakulär berichten. Und dass das Ganze in BILD ein bisschen reißerischer dargestellt wird, wird ja nun auch niemanden verwundern – auch wenn das dann so aussieht, als ob 3.000 Leute stundenlang in Lebensgefahr geschwebt und mit Rettungswesten über das Schiff geirrt wären.
Das Gegenteil ist der Fall – das Personal hat meinen Freunden zu Folge sehr aufmerksam und besonnen gehandelt. Sie fühlten sich vom Kapitän jederzeit gut informiert. Das Housekeeping hat sich in den Kabinen nach dem Befinden erkundigt und damit auch sichergestellt, dass alle Passagiere wohlauf sind. Die komplette Crew hat die Nacht über aufgeräumt, so dass das Frühstück am Samstag in Hamburg praktisch im normalen Rahmen stattgefunden hat – was will man eigentlich mehr …?
Ich will das Ereignis natürlich auch nicht kleinreden – das war schon verdammt unangenehm für die Passagiere und vermutlich niemand von uns will das erleben (im Übrigen auch diejenigen nicht, die sich in Facebook mit hirnlosen Kommentaren äußern wie „Dann fahrt halt in den Schwarzwald, wenn Ihr eine Seefahrt nicht vertragt.“). Denn wenn es dumm läuft, führt eine solche Situation auch schnell zu körperlichen Schäden – und das ist für den einzelnen dann schon „Horror“.
Aber für alle anderen gilt weiterhin: das gefährlichste an einer Kreuzfahrt ist die Fahrt zum Flughafen … 🙂