Der heutige Tag beginnt bereits sehr früh – zum einen wurde uns heute Nacht eine Stunde „geklaut“, zum anderen erreichen wir bereits gegen 7.00 Uhr Pim Island, wo die legendäre Greely-Expedition Ende des 19. Jahrhunderts ihr Ende fand.
Immer wieder spüren wir zwischendurch ein Vibrieren des Schiffes – dann war wieder mal eine der Eisschollen im Weg. Und das wird uns (hoffentlich) auch noch eine Weile begleiten.
Nach einem frühen Frühstück beginnt dann für uns gegen 7.45 Uhr die Ausbootung, so dass wir bereits vor 8.00 Uhr an Land sind. Auch hier werden wir wieder von Geröll und unebenem Gelände empfangen, allerdings finden wir hier zum einen die Überreste der Hütte vor, die die Leute um Greely hier erbaut haben, zum anderen eine Gedenktafel an die Opfer der Expedition.
Vielleicht ist das jetzt auch die richtige Stelle, um mal kurz zu berichten, wie so ein „Landausflug“ abläuft. Zunächst einmal fährt eines der Zodiacs mit einigen Mitgliedern der Crew und mit den Lektoren der Reise (diese sind an den gelben Parkas zu erkennen) in Richtung des geplanten Anlandungsziels, um den idealen Ort für die Anlandung zu erkunden.
Ist dies geschehen, wird hier eine kleine „Basisstation“ aufgebaut, es wird die orangene Flagge von Hapag Lloyd aufgestellt, es werden blaue Tonnen aufgestellt, die später für die Aufnahme der Rettungswesten verwendet werden und die Eisbärenwächter machen sich auf den Weg, um das Gelände entsprechend zu sondieren und sich mit ihren Waffen zu positionieren.
Danach erfolgen die Überfahrten für die Passagiere, wobei diese wie bereits erwähnt in vier Farbgruppen eingeteilt sind, die täglich in der Reihenfolge wechseln. Die Rettungsweste hat dabei jeder Passagier auf der Kabine (das ist übrigens eine andere – kleinere – als die, die bei der Seenotrettungsübung oder einem echten Generalalarm Verwendung findet), so dass alle Passagiere mit passender Kleidung (heute zeigt das Thermometer übrigens rund 1°C an) und Rettungsweste nach und nach auf Deck 3 zum Seitenausgang kommen, um von dort in eines der bereitstehenden Zodiacs zu steigen. Da die Anlandungen inzwischen alle in die Kategorie „nass“ fallen (Bootsstege gibt es hier logischerweise nicht mehr), sind die von Hapag Lloyd ausgeliehenen Gummistiefel natürlich obligatorisch (es sei denn, man hat einen Teil der 23 kg Gepäck für eigene „geopfert“), lange Unterwäsche (ich kann da aus eigener Erfahrung die Produkte von Icebreaker aus Merinowolle wärmstens empfehlen), ggf. eine Skihose, warmer Pulli und dicke Jacke (wobei die meisten die hier verliehenen roten Hapag Lloyd Parkas nutzen) ergänzen die Kleidung. So kleine Accessoires wie Mütze, Schal, (wasserdichte) Handschuhe und ggf. Multifunktionstuch sowie Rucksack (beides hat jeder von Hapag Lloyd als Geschenk erhalten) runden das Ganze dann natürlich ab.
An der Anlandestelle erfolgt dann das Aussteigen aus dem Zodiac, das inzwischen auch jeder beherrscht (ich erinnere noch mal an Wellen und ähnliches) und das Ablegen der Schwimmweste in einer der blauen Tonnen. Zum einen muss man sie so nicht die ganze Zeit mit sich herumtragen, zum anderen ist das eine einfache aber effektive Vollzähligkeitskontrolle – sind die Tonnen am Ende leer, sollte eigentlich auch niemand mehr an Land sein …
Auf Pim Island angekommen, sehen wir aber nicht nur die Reste der Expedition und die Gedenktafel – wir haben auch eine tolle Aussicht über das mit Treibeis und kleinen Eisbergen zu unseren Füßen liegende Meer und die MS Bremen, die zwischen den Eisschollen auf unsere Rückkehr wartet. Wie immer wird der „Rahmen“ für unsere Spaziergänge auf der Insel durch die Eisbärenwächter gesteckt, die hier insbesondere auf das Wasser achten müssen – da sich Eisbären fast unsichtbar im Wasser annähern können, muss jederzeit damit gerechnet werden, dass doch mal einer urplötzlich aus dem Wasser auftaucht. Und das wiederum wäre nicht so richtig gut – lieber wäre es uns, wenn wir einen im Laufe des Tages friedlich auf einer Eisscholle an uns vorbeitreiben sehen würden …
Aber so weit ist es noch nicht … jetzt geht es erst einmal zurück an Bord, wo wir uns noch etwas ausruhen können (mein jetzt eigentlich angedachter Saunagang scheitert daran, dass hier von 9 – 11 Uhr „Damensauna“ ist) bevor es dann um 11.30 Uhr in die Panorama Lounge zum Vortrag „Anorak, Kajak, Iglu, Hundeschlitten – Überlebenstechniken im ewigen Eis“ geht.
Eingeleitet wird der Vortrag mit den Worten „Nachdem das Ganze hier ja mehr und mehr tatsächlich zur Expeditionsreise wird, sollte jeder wissen, wie man hier – wenn man denn versehentlich an Land vergessen wird – überleben kann. Und glauben Sie mir, es ist gar nicht so schwer, ein Iglu zu bauen …“ 😉
Und auch wenn das so ist (und so schwer sieht das tatsächlich nicht aus – irgendwie wie eine Bauanleitung von IKEA), wird die Mehrzahl tendenziell doch lieber wie geplant in neun Tagen mit der MS Bremen wieder in Kangerlussuaq anlanden wollen.
Inzwischen haben wir die Stelle im Smith Sound, die uns gestern und heute Nacht mit Treibeis erfreut hat, passiert und haben relativ freie Fahrt in Richtung Norden – bis gegen 16.00 Uhr erneut die Fahrt ins Eis beginnt.
Ähnlich zu gestern ist jetzt Slalomfahren angesagt. Ich habe mir das Ganze mal eine Weile auf der Brücke angesehen: am Fenster steht einer der Offiziere, der dem Steuerer die „Lenk-Kommandos“ gibt: „20 Starbord, Midship, Hard Portside usw.“ Hat aus der Sicht des Betrachters irgendwie was von einem Computerspiel, bei dem man Eisschollen ausweichen muss (mich hat das an „Frogger“ erinnert – da musste man einen Frosch so über die Straße hüpfen lassen, dass er nicht unter die Räder kam … und falls die jüngeren Leser das nicht kennen: macht Euch nichts draus – das stammt aus der Zeit des C64 Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrtausends).
Der Eisbär hat sich übrigens wieder nicht blicken lassen. Dafür bekommen wir mit dem Krabbentaucher und der Dreizehenmöwe einige arktische Vögel, die zwischen den Eisschollen hin und her fliegen, zu Gesicht.
Kurz vor dem Abendessen gibt es dann auch heute wieder einen kombinierten Recap/Precap – wir erfahren ein bisschen was zu den Steinen, die wir heute gesehen haben (hätten sehen können), über Eisbären (die wir noch sehen wollen) und über Kannibalismus (den wir nicht brauchen – das Essen ist auch so sehr gut an Bord).
Und natürlich über unser morgiges Ziel. Aktuell sind wir noch weiter auf dem Weg nach Norden und auch die Eiskarte zeigt ein relativ freundliches Bild. Wenn nichts Unerwartetes dazwischenkommt, sollten wir morgen früh Hans Island, eine Insel zwischen Kanada und Grönland, erreichen. Diese wurde früher als „Gesteinshaufen“ angesehen und niemand war wirklich daran interessiert. Seit man hier aber Bodenschätze bzw. Erdgas vermutet, streiten sich Grönland (Dänemark) und Kanada um die Insel. Es ist zu vermuten, dass bislang nur sehr wenige Menschen auf der Insel unterwegs waren – von daher gibt das dann morgen wieder mal eine Nadel auf der Karte, die man nicht so häufig setzen kann …
Im weiteren Verlauf des Tages werden wir dann nochmals weiter nördlich fahren, bis wir den „Point of return“ erreichen – Packeis, das uns zur Umkehr zwingt. Schauen wir mal, bis zu welchem Breitengrad wir kommen werden …
Der heutige Abend sieht dann außer Abendessen und einem Film über eine Hapag Lloyd Expeditionsreise in die Südsee mit der MS Bremen (könnte Werbung sein) 😉 nichts weiter mehr vor … außer dem beständigen Knacken und Vibrieren, wenn die Jungs und Mädels oben auf der Brücke mal wieder eine Eisscholle getroffen haben … 😉
Das wird allerdings am späten Abend kurzfristig deutlich heftiger – und ein Blick durch die Vorauskamera auf Kanal 1 im Bord-TV zeigt auch, dass es Zeit wird, sich noch mal anzuziehen und den Weg nach draußen zu suchen. Geschätzt eine „Sieben-Zehntel-Bedeckung“ liegt vor uns – riesige Eisschollen haben sich zusammengeschoben und liegen in unserer Fahrrinne.
Auch die Außentemperatur hat sich jetzt noch mal deutlich nach unten verringert und liegt jetzt bei -5°C. Ich wollte mal schnell auf der Brücke vorbeischauen, aber die ist aktuell gesperrt. Offensichtlich nähern wir uns dem „Point-of-Return“ vielleicht doch schneller als gedacht. Obwohl es schade wäre, da uns bis zum 80. Breitengrad gerade mal noch sechs Minuten fehlen – das sollte doch noch zu schaffen sein.
Wir fahren mit gut 4 Knoten, schieben ab und zu eine der Schollen weg, um dann in der freiwerdenden Rinne bis zur nächsten Scholle zu fahren. Ab und zu wird von der einen oder anderen Scholle auch mal ein Stückchen abgeschnitten … irgendwie geht es vorwärts, auch wenn unsere Fahrtstrecke aktuell eher ein Zick-Zack-Kurs ist. Fünf Meter vor, ein Meter zurück … und immer wieder ruckt das Schiff, wenn wir auf eine der Schollen treffen (da macht das Festhalten sogar mal Sinn, wenn man keinen Seegang hat).
Inzwischen sind wir aber durch das dichte Treibeisfeld durch und haben jetzt wieder ein bisschen mehr Wasser als Eis vor uns … mal schauen, was heute Nacht noch so passiert und wo wir morgen sind …
Und es passiert in der Tat noch etwas … gegen Mitternacht meldet sich unser Expeditionsleiter über die Kabinenlautsprecher. Hoffnung kommt auf – sehen wir endlich unseren Eisbären auf der Eisscholle? Leider nein – wir überqueren aktuell gerade den 80. Breitengrad, das „Mindest- bzw. Wunschziel“, das man sich vor der Reise gesetzt hat – ohne zu wissen, ob es überhaupt erreichbar sein wird. Aber zumindest das hat schon mal geklappt – jetzt arbeiten wir am nächsten Ziel: dem höchsten Breitengrad, den die Bremen bislang erreicht hat. Mal sehen, ob wir den morgen toppen können …
Weiterlesen: 14. August 2016: Hans Island, Kanada/Grönland