So langsam aber sicher nähert sich unsere Zeit im westlichen Teil unserer Reise ihrem Ende – wir fahren heute aus dem Lancaster Sound heraus und setzen unsere Fahrt dann ab morgen in nördlicher Richtung fort. Leider liegt noch keine aktuelle Eiskarte aus dem Smith Sound (das ist das nördlichste Teilstück unserer Reise, bei dem das Packeis den Wendepunkt für uns bestimmt) vor, so dass aktuell noch unklar ist, bis zum wievielten Breitengrad wir gen Norden kommen werden.
Aber genau das macht ja auch eine Expeditionsreise aus – dass man eben keinen Fahrplan hat, aus dem genau zu entnehmen ist, wann wir welchen Hafen wie lange anlaufen. Und auch schon das Tagesprogramm für heute enthält einige Fragezeichen – die beiden Anlandungen, die für heute geplant sind, sind jeweils Erstanlandungen, d.h. bislang weiß noch niemand so genau, was uns dort erwarten wird.
Von daher ist es ganz gut, dass die „rote Gruppe“ (also wir) heute als letztes mit der Zodiacüberfahrt an der Reihe sind – da können die anderen vorher schon mal gucken, was geht.
Wie wir vom gestrigen Precap her wissen, ist eine Anlandung am Jakeman Gletscher geplant – dies ist ein großer Gletscher, den wir von der Landseite aus erreichen sollten. Und beim Frühstück auf der Lido Terrasse ist der auch schon gut sichtbar, etwa zehn Minuten mit dem Zodiac entfernt, wartet er auf unseren Besuch.
Allerdings stellt sich heraus, dass der Gletscher dann wohl doch zu weit vom Strand entfernt ist, so dass eine Anlandung zwar möglich ist, dann aber nur ein Spaziergang am Strand bzw. in Richtung eines Hügels möglich ist.
Ich entscheide mich daher erneut für ein Alternativprogramm: erst ein bisschen was aufschreiben, dann auf den Crosstrainer (der ist jetzt in der Tat frei, da fast alle anderen an Land sind), in die Sauna und in den Pool. Mal schauen, was die anderen nach ihrer Rückkehr so erzählen – ich hoffe mal nicht, dass ich damit allzu viel verpasst habe. Aber heute am späten Nachmittag ist ja noch eine zweite Anlandung vorgesehen.
Gesagt, getan. Und alles richtig gemacht – es wäre ganz nett gewesen, sich mal die Beine zu vertreten, aber etwas Spektakuläres hätte ich nicht verpasst. Dann war das hier an Bord für mich schon effektiver …
Kurz vor dem Mittagessen wird jetzt noch ein schneller Vortrag über den Eisbären in der Lounge eingeschoben bevor es heute dann zu „Burger, BBQ und Spareribs“ geht. Womit mein Plan, das heutige Mittagessen einfach mal zu ignorieren, ins Wasser fällt. Aber gut, ich war ja immerhin schon auf dem Crosstrainer.
Der Nachmittag steht dann eigentlich ganz im Zeichen der Entspannung bevor es dann gegen 16.00 Uhr erneut „Land in Sicht“ heißt. Eine erneute Anlandung ist hier im Grise Fjord vorgesehen, wobei auch hier ähnlich wie heute Vormittag tendenziell eher das „Beine vertreten“ im Vordergrund steht. Zumindest berichten das diejenigen hinterher, die angelandet sind (angabegemäß sind das aber wohl deutlich weniger gewesen als bei der ersten Anlandung).
Zurück an Bord erwartet uns dann in der Lounge eine kleine Lesung bevor unser Kapitän die Bühne betritt – sein Bericht über die aktuelle Eissituation in Richtung Norden wird mit Spannung erwartet.
Anhand verschiedener Eiskarten erläutert er die aktuelle Situation in Richtung des Smith Sound, unser „Einfallstor“ gen Norden. Und die lässt sich relativ einfach zusammenfassen: so genau wissen wir nicht, wie weit wir es nach Norden schaffen. Während es in der vergangenen Woche so aussah, als ob man relativ gut einfahren gekonnt hätte, schiebt sich aktuell Eis von Nordosten her in Richtung Süden – und damit in den von uns avisierten Fahrweg. Allerdings ist auch erkennbar, dass sich die Situation täglich ändert – von daher kann das in ein, zwei Tagen schon wieder ganz anders aussehen. Es kann aber beispielsweise auch sein, dass wir einfahren können, uns dann aber der Rückweg durch nach Süden driftendes Eis versperrt wird – dann wird aus Expedition halt Abenteuer … 😉
Ziemlich sicher können wir aber davon ausgehen, dass wir nun verstärkt mit Eis in Berührung kommen – sei es als Treibeis unterwegs oder auch als Packeis, das uns den Weg versperrt. Ob das nun weiter nördlich oder doch schon etwas früher erfolgt, lässt sich heute nicht seriös vorhersagen – und ist aus meiner Sicht eigentlich auch egal. Es gibt aber durchaus Reisende an Bord, die Wert darauf legen, möglichst weit in den Norden zu kommen – und die intensiv diskutieren, ob wir nun den 80. Breitengrad erreichen werden oder nicht.
Eine Erkenntnis hat der Vortrag aber in jedem Fall gebracht – wir sind jetzt tatsächlich im „Expeditionsmodus“ angekommen. Denn klar ist eigentlich nur noch, dass wir am 22. August wieder in Kangerlussuaq sein sollten. Wie der Weg dorthin aussieht, wie weit er uns in den Norden führt und wann wir umkehren müssen – alles das kann heute noch nicht sicher gesagt werden.
Ach ja, noch etwas kann ich nachtragen: die MS Bremen ist grundsätzlich in der Lage, Eis bis zu einer Dicke von etwa 1,20 m zu durchfahren – allerdings nur dann, wenn es sich um relativ frisches Eis (wie beispielsweise in der Ostsee) handelt. Bei mehrere Jahre altem Packeis (mit dem wir hier konfrontiert werden) reduziert sich das Ganze dann schon auf gut 50 cm.
Damit hätten wir dann genügend Gesprächsstoff für das Abendessen gesammelt, so dass es von hier direkt ins Restaurant geht – und dort werde ich heute ganz nach meinem Geschmack verwöhnt: mit Kaviar gefüllte Eier, ein griechischer Vorspeisenteller, Weinbergschnecken in Kräuterbutter und Surf and Turf (Rindersteak mit Riesengarnele). Ich glaube, ich muss morgen unbedingt wieder auf den Crosstrainer.
Jetzt geht es aber erst einmal ins Bett, bis mir nach einigen Seiten in meinem Buch dann irgendwann die Augen zufallen.
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