Und dabei hätte ich ihn gar nicht gebraucht, den Wecker. Gegen 5.00 Uhr wache ich das erste Mal auf und stelle bei einem Blick aus dem Fenster fest, dass wir bereits in den Fjord einfahren. Zumindest sieht man am Horizont erste schneebedeckte Berge und Gletscher, die bis zur Wasserlinie reichen.

Genau so hatte ich das gebucht … da stellt sich dann so ein bisschen arktisches Feeling ein – sofern man im Sommer überhaupt von arktischem Feeling sprechen kann. Aber die mit ihren spitzen Gipfeln aus dem Wasser ragenden Berge sehen halt schon ein bisschen so aus, als ob irgendeiner die Alpen unter Wasser gesetzt habe …

Und so geht es jetzt auch weiter – bis wir gegen 7.30 Uhr vor Longyearbyen auf Spitzbergen vor Anker gehen. Und damit den nördlichsten Punkt erreicht haben, den AIDA auf der Welt aktuell so anfährt. Die Formulierung mit dem „nördlichsten …“ wird mich heute übrigens noch öfter ereilen. Denn irgendwie ist alles, was hier so gibt, das „nördlichtste …“: der nördlichste Flughafen, die nördlichste Kirche, das nördlichste Feuerwehrhaus, die nördlichste Tageszeitung … aber gut, wir sind jetzt ja auch nur noch gut 1.000 km vom Nordpol entfernt.

Bereits vor einer Stunde hat sich das übrigens schon bemerkbar gemacht – da wurde das Fernsehprogramm mit einem Hinweis des Receivers ersetzt, dass man mal nach seiner Schüssel schaue solle, da diese ggf. verstellt sei. Und gleiches gilt für den Internetzugriff auf dem Schiff – auch hier ist jetzt Schluss, die jeweiligen Satelliten in der Umlaufbahn decken diesen Bereich der Erde nicht mehr ab.

Ich mache mich daher mal auf den Weg zum Frühstück ins Marktrestaurant, so dass ich pünktlich zu meiner Radtour um 9.00 Uhr am Biking Counter bin. Immerhin muss vorher ja noch die Frage gelöst werden, welche Kleidung bei dem zu erwartenden Wetter wohl geeignet ist und welche in den Rucksack kommt.

Aktuell haben wir 7°C und es ist wechselnd bewölkt; mit Schnee oder Regen ist eher nicht zu rechnen. Von daher ist also eher die Temperatur (und der Fahrtwind) in den Griff zu bekommen und weniger evtl. Nässe. Ich entscheide mich daher also für meinen Norwegerpulli und ein Paar Handschuhe. Die Mütze packe ich erst mal in den Rucksack – die wäre unter dem Fahrradhelm eh nicht so gut zu tragen. Und vielleicht geht es ja auch so. Und die Winterjacke kommt für alle Fälle in den Rucksack.

Mal schauen, ob das so passt … meine Radlerhose habe ich natürlich nicht dabei (an eine Radtour kurz vor dem Nordpol habe ich zu Hause ja auch eher nicht gedacht), so dass eine Jeans herhalten muss – auch wenn ich die entsprechende Polsterung der zum Gefährt passenden Hose schon geschätzt hätte. Aber gut, was nicht ist, ist nicht.

Und so sammeln wir uns jetzt alle auf Deck 9, um uns gemeinsam auf dem Weg zu unserem Tenderboot zu machen. Hier kommen wir auch alle unter, so dass wir etwa eine Viertelstunde später an Land sind. Hier treffen wir dann auch auf die Passagiere der MSC Magnifica und der MS Deutschland („Das Traumschiff“), die mit uns auf Spitzbergen sind. Denn – man glaubt es kaum – der Kreuzfahrthafen von Longyearbyen ist durchaus beliebt: rund 100.000 Kreuzfahrtpassagiere kommen hier jedes Jahr an Land – und das im Prinzip ja nur in den Monaten zwischen Juni und August.

Ansonsten hat die Insel geschätzte 6.000 Einwohner – rund 3.000 Menschen und rund 3.000 Eisbären. Und das ist auch der Grund, warum der Bewegungsspielraum der Menschen hier etwas eingeschränkt ist – genau genommen ist er beschränkt auf die Ortsgrenze von Longyearbyen. Jeweils am Ortsende steht ein Warnschild, dass ein Weitergehen verbietet – und das Ignorieren des Hinweisschildes wird mit empfindlichen Geldbußen geahndet … oder auch mal mit dem Leben bezahlt. Eisbären sind da nicht unbedingt zimperlich, wenn es um Nahrung geht …

Lediglich in Begleitung von bewaffneten Guides ist ein Verlassen des Ortes zulässig – die sind aber nur begrenzt verfügbar und begleiten dann auch lieber die Busausflüge als die Bikingtouren . Und daher endet auch unsere Tour jeweils am Ortsende.

Zunächst muss sie ja aber erst mal anfangen …

Die Räder haben die Biking Guides bereits mit dem ersten Tenderboot an Land gebracht, so dass wir nur noch unsere Räder schnappen, die Feineinstellung vornehmen und eine Proberunde drehen müssen.

Wir sind rund 50 Teilnehmer, so dass alle Räder im Einsatz sind. Und aufgeteilt auf drei Gruppen geht es dann auch schon los – etwa 15 km liegen vor uns. Von daher nichts Aufregendes, aber immer noch besser als zu Fuß los zu laufen oder die Rundfahrt mit dem Bus zu machen. Und nach rund zehn Tagen, bei denen Bewegung im wesentlichen daraus besteht, die Gabel zum Mund zu führen, tut so ein bisschen Radeln ja auch durchaus mal gut.

Unser erster Stopp ist dabei das erste Eisbärenwarnschild an der Ortsgrenze – natürliche ein beliebtes Fotomotiv. Danach geht es zurück in Richtung Innenstadt – den Begriff darf man bei eines Ortes dieser Größe aber nicht überbewerten. Obwohl es alles gibt, was man in Sachen Infrastruktur so braucht: Kirche, Post, Schulen, Kindergarten, Universität, Feuerwehr, drei Polizisten, Einkaufsläden, Hotel (Radisson Blu) und ein kleines Krankenhaus. Und natürlich auch mal wieder einen Internetzugang (sogar mit HSDPA) im norwegischen Mobilfunknetz.

Und so kalt ist es eigentlich auch gar nicht. Der Norwegerpulli macht seinem Namen alle Ehre und hält warm genug – nur ohne Handschuhe wäre es ziemlich frisch gewesen.

Und so geht es hier weiter … von der „Innenstadt“ geht es jetzt erst einmal stetig bergauf. Nicht wirklich steil, aber es zieht sich. Und von daher bin ich schon froh, dass ich da 27 Gänge habe … die brauche ich zwar nicht alle, aber zum Schluss bin ich dann schon froh, als wir am nächsten Eisbärenschild ankommen.

Von hier haben wir dann noch mal einen Blick auf den Ort und die ehemalige Kohlengrube – auf Spitzbergen wurde früher nämlich Kohle abgebaut. Und das zugehörige Kohlekraftwerk ist heute noch im Einsatz – und verhindert, dass Norwegen zu 100% regenerative Energien nutzt (es sind somit nur 99,x %).

Zurück geht es dann – logischerweise bergab – zur nördlichsten Kirche, die eher einem Wohnzimmer denn einer Kirche gleicht. Wie es hier üblich ist, müssen vor dem Betreten der Kirche die Schuhe ausgezogen werden (also nicht die „Golfsocken“, das sind die mit den 18 Löchern, anziehen) – wobei das im Gegensatz zu Tempeln oder Moscheen keinen religiösen Hintergrund hat sondern einfach der Sauberkeit dient.

Von hier steht dann noch einmal ein kurzer Aufstieg zu einem Aussichtspunkt (das wäre dann das dritte Eisbärenschild) an; von hier aus hat man dann noch einmal einen unverstellten Ausblick in den Hafen und den Fjord, so dass sowohl die MS Deutschland als auch unsere Cara schön zu sehen sind. Wobei ich sagen muss, dass die Deutschland von außen meines Erachtens kein wirklich schönes Schiff ist. Das man sich dann beim Betreten ändern – aber allein von der Optik her würde ich mich immer für die buntbemalte Cara entscheiden.

Hier oben trennen sich dann auch unsere Wege – diejenigen, die zurück zum Schiff wollen, beenden hier ihre Tour und rollen gemütlich an den Hafen zurück, während die anderen vorher noch einen etwa halbstündigen Stopp in der „Innenstadt“ einlegen. Sei es, um eine Postkarte vom nördlichsten Postamt der Welt zu verschicken (bin mal gespannt, ob die ankommt), einen Wandteller zu kaufen oder auch nur, um einen 10-€-Kaffee zu trinken. Ja, Norwegen ist jetzt nicht wirklich billig …

Ich schließe mich also der „Stadtgruppe“ an, mache, was zu machen ist (allerdings ohne den Kaffee) und gehe danach noch kurz Internet. In meiner Hosentasche habe ich meinen WiFi-Router mit der Keepgo-SIM, so dass ich mir hier meinen eigenen Hotspot aufbaue, auf den ich dann mittels iPhone zugreifen kann. Und das klappt richtig gut – billiger komme ich schlichtweg im Ausland nicht ins Netz.

Und schön zu beobachten sind auch die um mich stehenden Leute, die auf der Suche nach einem offenen WLAN sind – und meinen Hotspot zwar finden (der heißt übrigens „HRM-Hotspot“ – wenn den mal einer findet, darf er mich gern im Umkreis suchen), aber logischerweise nicht reinkommen.

Bis auf die letzten fünf Minuten unseres Aufenthaltes – als ich mit meinen Mails soweit durch bin, nehme ich kurz mal die Verschlüsselung raus und mache ihn auf. Und es dauert keine Minute, da sind die zehn maximal möglichen User mit meinem Hotspot verbunden. Und wenn ich nicht zurück zu unseren Fahrrädern müsste, wären die jetzt wahrscheinlich alle noch drin. So musste ich den Zugriff leider wieder sperren … was sich dann in den Gesprächen der Umstehenden widerspiegelte: „Hast Du noch Netz …?“, „Kommst Du noch rein …?“, „Ich sehe das WLAN nicht mehr …!“ Tja, tut mir leid …

Und nur mal so nebenbei; die richtige Software vorausgesetzt, hätte ich während dieser zehn Minuten von jedem, der über meinen Router im Netz war, alle gesendeten und empfangenen Informationen inklusive aller unverschlüsselten Passwörter, Mails, Zugangsgdaten, den Facebook-, Twitter- und Googleaccount und vieles mehr speichern – und später in aller Ruhe auswerten – können. Mache ich natürlich nicht – aber es soll durchaus ja auch Leute geben, die da ein etwas anderes Unrechtsbewusstsein haben. Also: Augen auf und immer schön verschlüsseln bevor man sich in offene WLANs einloggt …

Doch zurück zu unserer Fahrradtour, die inzwischen eigentlich schon fertig ist. Wir fahren noch den letzten Kilometer zurück zum Hafen, ich mache noch schnell ein Foto vom nördlichsten Feuerwehrhaus – und dann heißt es auch schon warten auf den Tender.

Aktuell stehen nur zwei Tenderboote der MS Deutschland im Hafen, so dass wir noch zehn Minuten Wartezeit in Kauf nehmen müssen, bevor es zurück zur Cara geht. Glücklicherweise erwische den Platz unter der vorderen Luke im Tender, so dass ich die Gelegenheit nutzen und ein paar Fotos von der Cara auf Reede machen kann (diejenigen, die mir im Vorfeld gesagt haben, dass man auf dem Platz nass werden kann und ich besser woanders sitzen sollte, haben zwar durchaus Recht gehabt, hätten dann aber während der Fahrt trotzdem gern mit mir getauscht).

Eine knappe Viertelstunde später sind wir dann zurück auf unserem Schiff, so dass ich mich meiner Winterkleidung entledigen und mich in das leichtere Bordoutfit werfen kann. Meine Kabine ist leider noch nicht aufgeräumt (wozu hänge ich eigentlich das Schild mit dem Staubsauger an die Tür?), so dass ich zunächst mal zu einem kleinen Mittagessen ins Calypso gehe.

Das wird dann allerdings doch eine längere Sache, da ich nicht nur eine Kleinigkeit esse sondern noch mit anderen Vielfahrern ins Gespräch komme und wir gemeinsam die aktuelle Situation von AIDA, insbesondere auch im direkten Vergleich mit TUI Cruises, analysieren. Und wir mehr oder weniger zu dem gemeinsamen Schluss kommen, dass AIDA gewisse Anpassungen vornehmen muss, um dem Publikum, dass teilweise ja ordentliche Preise für eine Kreuzfahrt zahlt (so kostet die Balkonkabine bei Doppelbelegung auf dieser Reise rund 13.500 €), ein entsprechendes Preis-/Leistungsverhältnis zu bieten. Und das ist aktuell in dieser Preisklasse bei den Mitbewerbern tendenziell höher …

Also sind wir mal gespannt, was da ggf. in der nächsten Zeit auf uns so zukommt – ich bin der festen Überzeugung, dass es hier Anpassungen geben wird. Und zugegeben – ein bisschen was merkt man auf dieser Reise schon davon. Sowohl die Auswahl als auch die Qualität der Speisen ist hier besser als auf den Standardtouren der großen Schiffe. Und gefühlt steht hier auch mehr Servicepersonal in den Restaurants zur Verfügung – Teller, die sich zwischen den einzelnen Gängen ans Buffet am Tisch stapeln, sind mir zumindest noch nicht aufgefallen.

Doch zurück zu unserer aktuellen Reise … im Calypso wird inzwischen schon zum Nachmittagskaffee eingedeckt, so dass ich mich jetzt auf den Weg in die AIDA Bar mache. Hier nimmt mein Router wieder Kontakt zum norwegischen Mobilfunknetz auf, so dass ich die Gelegenheit nutze, nach 1 ½ Tagen Internetabstinenz mal alle Mails auf den aktuellen Stand zu bringen (und soweit es geht zu beantworten), meine Webserver nach Viren zu checken, schnell mal einen Blick in die lokale Tageszeitung zu werfen – und die WELT Kompakt der letzten beiden Tagen auf dem iPad für nachher zu aktualisieren.

Und dann laufen wir auch schon wieder aus – und beginnen unseren Weg in Richtung des Nordkaps, wo wir morgen Abend gegen 23.00 Uhr ankommen werden.

Das Auslaufen aus dem Fjord ist dabei noch einmal ein fotografisches Ereignis – und kommentiert von unserem Bordlektor erfahren wir auch noch das eine oder andere Spannende über Spitzbergen. Zum Beispiel, dass der Flughafen erst 1975 erbaut werden durfte (da Spitzbergen einem Vertrag von 1925 zu Folge für die nächsten fünfzig Jahre frei von militärischen Einrichtungen bleiben musste und ein Flughafen als solche angesehen wurde). Oder dass es auf Spitzbergen einen Bunker gibt, in dem die wichtigsten Pflanzensamen der Erde tiefgefroren gelagert werden – für den Fall der Fälle (also einen Atomkrieg). Und aufgrund der Lage tief im Berg bleiben die Samen auch bei einem Stromausfall gefroren – herrscht hier doch Dauerfrost von -3,5°C.

Bis zum Abendessen – wobei ich heute erst die späte Runde um kurz vor neun nehme – nutze ich die freie Zeit zum Lesen. Ein neues, spannendes Buch lässt mich aktuell nicht wirklich los – und so freue ich mich auch schon auf den morgigen Seetag, den ich dann ziemlich sicher zum Lesetag erklären werde.

Lediglich die heutige Show im Theater „Zack-Zack“ nehme ich noch mit. Wer alt genug ist, um noch „Dalli-Dalli“ zu kennen, der weiß, um was es hier geht. Und wer nicht … naja, dem sei in Kurzform gesagt, dass es um eine Spielshow geht, in der Begriffe in möglichst kurzer Zeit gefunden und Spiele auf Geschwindigkeit absolviert werden müssen sowie zwischendurch immer mal wieder Gesang ertönt. Und dadurch, dass es sich bei den mitspielenden Teams um Mitreisende handelt, ist das Ganze meistens relativ lustig.

Und irgendwie kann ich mich nach wie vor nicht so richtig dran gewöhnen, dass es rund um die Uhr hell ist. Als ich gegen 22.30 Uhr in meine Kabine komme, ist es weiterhin taghell – und so wird es ja auch noch zwei Tage bleiben. Und auch wenn es mich beim Einschlafen nicht wirklich stört – bei jedem Aufwachen muss ich auf die Uhr gucken, weil schlichtweg jedwedes Zeitgefühl einfach nicht mehr vorhanden ist.

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