Heute ist es soweit: für die nächsten Tage heißt es jetzt: „Wir sind offline“. Wir sind so hoch im Norden, dass es sowohl nachts nicht mehr dunkel wird als wir auch keine Verbindung mehr zu dem für den Internetverkehr notwendigen Satelliten haben – und somit sind wir raus. Raus aus unserer Welt, in der wir es gewohnt sind, auf Schritt und Tritt googlen, mailen, whatsappen und Pokémons fangen zu können. Und in der Tat muss man sich daran gewöhnen, dass der gewohnheitsmäßige Griff zum iPhone völlig nutzlos ist – die einzige neue Information, die sich auf dem Display findet, ist die sich ständige ändernde Uhrzeit. Aber auch daran werden wir uns gewöhnen … hoffentlich. Und in ein paar Tagen (die Aussagen variieren zwischen drei und 14 Tagen, je nachdem wen man an Bord danach fragt) soll es dann ja auch schon wieder gehen. 😉

Für den heutigen Tag sind dafür wieder zwei Anlandungen vorgesehen – vormittags vor Radstock Bay und nachmittags vor Beechey Island.

Da wir aber erst zwischen 10.30 Uhr und 11.00 Uhr mit der Anlandung beginnen, bleibt zunächst einmal Zeit für ein ausgiebiges Frühstück auf der Lido Terrasse, bei dem wir unsere Lösungen des gestrigen Mathe-Rätsels (Ihr erinnert Euch – es ging um die Anzahl der unterschiedlichen Sitz-Kombinationen beim Abendessen) ausgetauscht haben. Und während Birga, Wolfgang und ich auf unterschiedlichen Lösungswegen zum gleichen Ergebnis gekommen sind, hat Dennis – mit einem weiteren Lösungsweg – während des Frühstücks festgestellt, dass wir die Reise doch deutlich verlängern müssen: denn auch nach seiner Rechnung wären knapp zwei Jahre an Bord notwendig, um die 720 unterschiedlichen Kombinationen auszuprobieren (da wir alle auf das gleiche Ergebnis gekommen sind, nehmen wir mal an, dass das richtig ist – auf Bestätigungen oder eventuelle Korrekturen meiner Leser freue ich mich natürlich …).

Die Zeit bis zu unserer Anlandung nutze ich jetzt für das Schreiben dieser Zeilen bis eine Durchsage von der Brücke darauf hinweist, dass man doch idealerweise mal auf Steuerbordseite herausschauen sollte – da wäre nämlich unser erster Eisbär zu sehen. Und in der Tat: am Ufer des vor uns liegenden Bergs geht er ganz gemütlich spazieren. Und unser mitreisender Biologe gibt nach einem Blick durch ein starkes Teleobjektiv dann auch gleich erweiterte Informationen: es handelt sich um ein gut genährtes Männchen, das da seine Kreise zieht.

Dummerweise geht er aktuell gerade da spazieren, wo wir eigentlich anlanden wollen – und von daher verzögert sich der Tagesablauf dann jetzt doch ein bisschen. Aber genau das macht ja eine Expeditionsreise aus: dass man eben morgens nicht so genau weiß, was man im Laufe des Tages so macht, sieht und wo man sein wird.

Übrigens macht dann auch der Hinweis im Tagesprogramm Sinn, dass man bei den Anlandungen unbedingt in dem von den (bewaffneten) Eisbärenwächtern abgesteckten Terrain bleiben muss, um versehentliche Begegnungen mit diesen Tieren (die in der Regel für mindestens einen der Beteiligten tödlich enden) zu vermeiden.

Und nachdem der Eisbär auch weiterhin seine Kreise zieht, mal für uns sichtbar ist und mal nicht, kommt jetzt langsam Plan B ins Spiel: anstelle einer Anlandung wird es eine kleine Zodiac-Rundfahrt geben, um den Eisbär mit etwas Glück aus der Nähe zu sehen.
Allerdings überholt sich auch dieser Plan von selbst – während die Vorbereitungen für die Zodiac-Tour anlaufen, entscheidet sich der Bär, von der Bildfläche zu verschwinden. Und von daher macht es auch nicht mehr wirklich Sinn, mit den Zodiacs in seine Nähe zu fahren – es gäbe dann ja nicht mehr wirklich was zu sehen. Also ist jetzt Plan C angesagt – wir landen doch an, aber nur für einen kurzen Spaziergang am Strand. Die angedachte Wanderung, die etwas weiter weg führen würde, wird aufgrund des Eisbären gecancelt.

Und so fahren kurz danach diejenigen, die sich mal kurz die Beine vertreten wollen, mehrere Milliarden alte Fossilien sehen oder Polarmohn fotografieren wollen, für einen kurzen Ausflug an Land, während die anderen den Vormittag an Bord verbringen.
Dafür klappt aber die angedachte Anlandung auf Beechey Island am Nachmittag. Frisch gestärkt am umfangreichen Pastabuffet im Club wandeln wir am späten Nachmittag auf den Spuren Franklins, der auf der Suche nach der legendären Nord-West-Passage von Grönland nach Alaska hier gestrandet ist.

Wie immer fährt zuerst ein Zodiac mit der Crew und den Lektoren an Land, die dort alles für die Anlandung vorbereiten und das Umfeld nach Eisbären absuchen bevor sich die Eisbärenwächter mit ihren Gewehren am Rand unseres Landganggebietes postieren. Danach erfolgen die Zodiac-Anlandungen in vier Farbgruppen, denen alle Passagiere zugeordnet sind und deren Reihenfolge täglich wechselt.

Und obwohl wir hier in der Arktis sind, spielen Eisberge bislang noch eine untergeordnete Rolle. In Grönland haben wir zwar den einen oder anderen sehen können, hier auf der kanadischen Seite werden wir bislang aber eher mit braunem Gestein und Fossilien konfrontiert – oder wie einer der Mitreisenden sagte, das sieht „mehr nach Dubai als nach Arktis“ aus.

Wenn wir wiederum erfahren, dass wir vor drei Wochen hier aufgrund von Packeis gar nicht hätten anlanden können, dann sieht man durchaus, wie schnell sich hier im arktischen Sommer die Landschaft verändern kann – und dass wir offensichtlich einen ganz guten Reisetermin gebucht haben.

An Land werden wir dann mit den Überresten der Flotte eines der Suchtrupps von Franklin konfrontiert, rostige Metallringe, die seinerzeit Holzfässer zusammengehalten haben, finden sich hier ebenso wie Überreste einer Hütte und Gedenktafeln für diejenigen, die hier auf der Suche nach Franklin und seiner Expedition ihr Leben gelassen haben.

Nach einer kurzen Wanderung gelangen wir dann zu den Gräbern weiterer Entdecker, die die Suche nach der legendären Nordwest-Passage mit ihren Leben bezahlt haben bevor wir von hier aus mit den Zodiacs zurück an Bord der MS Bremen fahren.

Hier erwartet uns dann kurz darauf auch schon unser Expeditionsleiter mit dem Precap, also der Vorschau auf die morgigen Ziele bevor es danach zum Dinner ins Restaurant geht. Den Anlandungen des Tages angemessen, steht das heutige Abendessen dabei unter dem Motto „Entdecker-Menü“.

Weiterlesen: 10. August 2016: Croker Bay und Dundas Harbour, Kanada